Sommer, Sonne, Freizeit. Entspannt den Hobbies nachgehen. Und dann von der Seite angemacht und belästigt werden. Die Situation, die Juliana Wimmer beschreibt, stellt für unzählige Menschen den Alltag dar.
Sexismus und damit verbundene Belästigungen haben unseren Alltag durchdrungen und vergiftet, da es zu lange geduldet und ertragen wurde. Über Jahrhunderte hinweg galt es als selbstverständlich, sexuelle Andeutungen zu machen. Zu oft sind Opfer verunsichert, ob es sich überhaupt um sexuelle Belästigung handelt, weil es zur Norm geworden ist.
„Geht man nach dem Antidiskriminierungsgesetz, ist der Fall klar: Alle unerwünschten Annäherungen fallen darunter, die sexueller Natur sind und sich an eine bestimmte Person richten.“ (https://www.spiegel.de/karriere/sexuelle-belaestigung-wo-verlaeuft-die-grenze-a-879553.html)

Mit der „MeToo“-Bewegung (engl. „Ich auch“) brach sich vor wenigen Jahren eine Chance Bahn, wirksamer in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Soziopathen, wie Harvey Weinstein (Gefängnis) und Jeffrey Eppstein (Suizid, wobei dieser höchst kontrovers diskutiert wird), haben mittlerweile ihre Strafen bekommen. Neben der Aufklärung unterschiedlicher Vorfälle hat die Bewegung auch weitere AktivistInnen inspiriert, sich stärker zu engagieren. Erst vor wenigen Wochen zeigten Joachim Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf in ihrem Programm die „#Männerwelten“:
Das Video hat seine Wirkung nicht verfehlt, denn im Anschluss – und auch an den Tagen danach – gab es viele Diskussionen über Sexismus im Alltag. Dass sich langsam ein Bewusstsein entwickelt, spürte auch der Account der „Catcallsof Hannover“ auf Instagram.
Vor ein paar Tagen hatte ich das Vergnügen, drei der AktivistInnen aus Hannover zu treffen und so möchte ich euch das Projekt kurz vorstellen. Eventuelle Zitate und inhaltliche Angaben beziehen sich auf das Gespräch als Quelle.
Das Pons-Wörterbuch erklärt uns, dass ein „catcall“ das Hinterherpfeifen sei. Ergänzend wird mit „flirt“ deutlich gemacht, dass es eine zielgerichtete Aktion ist, die eine amouröse Wirkung verursachen soll. Ich lasse es mal so stehen, dass ein „catcall“ auch ein Buhruf sein kann. Man muss aber beachten, dass ein „Flirt“ keine expliziten sexuellen Andeutungen benötigt, sodass dies eine entscheidende Komponente ist, um zwischen Flirt und Belästigung zu differenzieren.
Die Aktivistin Sophie Sandberg begann, sexuelle Belästigungen anzukreiden. Im wahrsten Sinne des Wortes: Ziel des Projektes ist, dass dort, wo die Belästigung stattfindet, mit Kreide darauf aufmerksam gemacht wird, was passiert ist. Mithilfe verschiedener sozialer Medien verbreitete sich ihre Aktion weltweit und entzündete auch ein Feuer in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover. Lisanne, Lucie und Amelie haben sich neulich Zeit für mich genommen. Das Team besteht aus sechs AktivistInnen, soll jedoch demnächst auf acht Mitglieder erweitert werden. Das ist verständlich, wenn man bedenkt, dass es pro Tag 3 – 4 Nachrichten gibt, in denen sexuelle Belästigung geschildert wird. Die Nachrichten/Meldungen sind so vielzählig, dass es teilweise Monate dauern kann, bis die Gruppe dazu kommt, das Geschehen anzukreiden. So waren es zwischenzeitlich 20 Nachrichten pro Tag, nachdem das #Männerwelten Video auf Pro Sieben lief.
Einige Eindrücke findet ihr hier:
Ich durfte einen ausführlichen Blick hinter die Kulissen werfen, möchte heute aber nur auf zwei fundamentale Dinge blicken.
Erstens geht es mir um die notwendige Rolle innerhalb der Gesellschaft, welche die jungen AktivistInnen einnehmen, denn ein zentraler Punkt sei der Gesprächsbedarf. Während angekreidet wird, gibt es regelmäßig Menschen, die auf sie zukämen und reden wollten. Traurige Geschichten von Vergewaltigungen, die Jahrzehnte zurückliegen oder deprimierende Stories, die zeigen, dass sexuelle Belästigung für viele Normalität ist, seien Routine. Es ist eine Erfahrung, die ich auch gemacht habe, als ich bei der Bundeswehr war. In Uniform wurde ich regelmäßig von aälteren Menschen angesprochen, die mir Kriegsanekdoten erzählten, aber nicht aus Spaß, sondern mit einer Leere im Blick, die vermuten lässt, dass sie das bisher kaum ausdrücken konnten. Das Ankreiden von „Catcalls“ ist daher ein zentrales Mittel, um die Missstände zu kommunizieren.
Dadurch gelingt es, dass etwas, das vielleicht noch vor Jahren im Verborgenen geblieben wäre, an die Öffentlichkeit gelangt. Insofern sehe ich in den Aktionen ein grundlegendes Symbol, um das Miteinander zu stärken und vor allem Betroffenen die Chance zu geben, ihrer Stimme in einer breiten Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Wie wichtig das ist, sehen wir daran, dass 90 % des Feedbacks positiv ist. Lob, Ermutigung, Zustimmung aus allen Bevölkerungsgruppen sei das, was besonders Spaß mache. Überrascht hat mich dabei, dass es immer wieder vorkommt, dass junge Männer zu Beginn skeptisch sind, sich dann mit den AktivistInnen austauschen und anschließend verstehen, akzeptieren und/oder respektieren, warum so gehandelt werden muss. Es überrascht mich, weil ich zu oft denke, dass mit einigen Menschen keine vernunftorientierte Debatte möglich ist, freue mich aber, zu sehen, dass die Erfolge des Projekts des Öfteren klar sichtbar sind.
Neben der Funktion des Sprachrohrs empfinde ich noch einen zweiten Punkt als elementar. Ich erachte es als unglaublich mutig, sich zu engagieren. Es mögen nur 10 % negatives Feedback sein, aber die haben es in sich:
Beschimpfungen („Ich fick dir den Feminismus raus“),
Drohungen, ihre Aktionen zur Anzeige zu bringen (Es ist rechtlich keine Sachbeschädigung!),
angespuckt werden.
Mit verschiedenen Strategien erleichtern sie sich ihre Tätigkeit, indem sie unter anderem auf bestimmte Uhrzeiten achten, Freunde mitnehmen oder Pfefferspray dabei haben. Das gibt eine Sicherheit, aber dennoch finde ich es großartig, wenn man sich für ein wichtiges Thema so einsetzt und den entsprechenden Mut aufbringt.
Nicht nur ich bin auf die Gruppe aufmerksam geworden, denn sie wirdimmer wieder von Zeitungen interviewt oder zu Podcasts eingeladen. 3.800 Follower auf Instagram in knapp einem Jahr belegen die Relevanz des Themas.
Zum Ende unseres Gesprächs ging es um die Frage, wie die Zukunft wohl aussehen mag. Ich teile zwar nicht die pessimistische Sicht, dass es vielleicht ganz und gar zu spät sei, die Welt zu retten, stimme jedoch zu, dass die gesellschaftliche Lage extrem angespannt ist. So fantastisch die Arbeit der AktivistInnen von „Catcalls of Hannover“ ist, müssen wir dennoch festhalten, dass das Problem dadurch nicht gelöst wird.
Am Ende scheint die Aufklärungsarbeit in den Schulen ein zentraler Aspekt zu sein. Um einen transparenten Umgang miteinander zu schaffen, müssen wir gemeinsam an der Kommunikation arbeiten. Und das sollte so früh wie möglich beginnen, denn solche Gespräche wie in meiner Anekdote zeigen, wie tief verwurzelt diese Überzeugungen sein können. Daher habe ich einige Artikel angehängt, die sich damit auseinandersetzen, wie man mit sexueller Belästigung umgehen und an welche Beratungsstellen man sich wenden kann, wenn man Opfer von sexueller Belästigung wird. Unser aller Ziel muss es sein, dass solche Vorfälle wie sie Juliana Wimmer und all die anderen Betroffenen schildern, der Vergangenheit angehören.
Mehr dazu:
https://www.zeit.de/arbeit/2017-10/sexistische-sprueche-sexismus-reaktion
http://www.vernetzungsstelle.de/?B7047C73D4A90A0CD8C1AB177664042C
https://www.bbc.com/news/newsbeat-43718034
https://www.silive.com/news/2019/04/catcalling-why-men-do-it-and-what-women-should-do-about-it.html
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