
Es war gar nicht leicht, die letzten Tage zu verarbeiten. So viel Wut und Hass war im Kochtopf Twitter, dass ich Schwierigkeiten hatte, die Worte entsprechend zu formulieren.
Wir könnten uns prinzipiell kurzfassen und erklären, dass die Grundlage unserer Gesellschaft, das Grundgesetz, verlangt, dass wir uns um alle Menschen kümmern. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ bedeutet nicht, dass die Würde der deutschen Menschen unantastbar ist, sondern der Satz als Fundament unserer Verfassung gilt für alle Menschen. Allein diese sechs Worte sollten Weisung genug sein, Menschen aus dem verbrannten Moria aufzunehmen.
Das Gegenargument, dass wir als souveräne Nation damit nichts zu tun haben, weshalb die Menschen „bleiben sollten, wo sie herkommen“ ist ebenso absurd wie schlicht inkorrekt. Deutschland schaffte erst 2019 ein Rekordhoch an Waffenexporten in teils mehr als fragwürdige Länder.
Wir sind damit konkret für das Leid der Menschen in Ländern wie dem Jemen oder Syrien verantwortlich. So gilt es aber auch für andere EU-Staaten: Spanien, Italien, Frankreich und Großbritannien (damals noch EU) waren 2012 allesamt unter den Top 10 der Waffenexporteure.
Demnach haben Deutschland und die gesamte EU nicht nur eine rechtliche, sondern auch eine moralische Verpflichtung, Flüchtenden zu helfen. Im ganzen Zusammenhang wurde noch gar nicht darüber gesprochen, dass im Lager auf Lesbos mehr als 10.000 Menschen wohnen, obwohl der Platz für 2.000 ausgelegt ist. Es sind menschenunwürdige Bedingungen, die dort herrschen, während wir in einem industriell fortgeschrittenen Land weite Flächen ungenutzt lassen und 12 Millionen Tonnen Lebensmittelabfälle produzieren.
Und was macht Deutschland aus seiner humanistischen Verpflichtung, Menschen, die man konkret ins Leid gestürzt hat, zu helfen? Den Bankrott erklären. Innenminister Seehofer hat es als Akt der Nächstenliebe bezeichnet, knapp 150 unbegleitete Flüchtende aufzunehmen.
Es ist eine widerwärtige Aussage, die einem den Würgereiz herbeiführt, da es klar ist, dass der Minister am liebsten gar keine Flüchtlinge aufnehmen will, sich nun aber dafür feiern lässt. Es ist nicht wenig als der moralische Ruin einer bequemen, innerlich verfaulten Gesellschaft, die sich als entwickelt selbst beweihräuchert und mit dem erhobenen Zeigefinger Richtung Weißrussland und Türkei zeigt.
Das C in Namen der Union und ihrer Schwesterpartei können wir demnach direkt streichen, denn ein wahrer Christ darf sich gar nicht der Aufnahme von Notleidenden verwehren oder er braucht am Weihnachtsfest nie wieder ein Krippenspiel besuchen.
Es ist letztlich aber wenig überraschend, dass die Konservativen sich der Menschlichkeit und Hilfe verschließen. Umso enttäuschter bin ich, dass auch die Sozialdemokraten keine konsequenten Handlungen durchführen. Ich unterstütze die Worte von Saskia Esken, dass hier Platz ist und wir mehr Menschen aufnehmen sollten, doch ich muss eines klarstellen:
Die SPD unternimmt viel zu wenig. Seit Jahren rühmen wir uns mit kleinsten Erfolgen, die unter hohen Stimmverlusten erkauft werden, in der GroKo. Immer wieder stehen wir als Verlierer da, weil wir uns mit Krümeln zufrieden geben.
Es ist längst an der Zeit, die „Große Koalition“ zu verlassen und Politik für die Menschen zu machen. Wir streben nach mehr Rente, Mindestlohn und einem fairen Schulsystem: alles Pfeiler einer solidarischen Gesellschaft – und alles Inhalte, die mit der CDU nie durchsetzbar sind. Kündigen wir diese Pyrrhussiege auf und beginnen, den Wandel endlich umzusetzen.
Alles andere ist Verrat an unseren Werten und der echten Sozialdemokratie, die nicht unter Nationalitäten unterscheidet. Wir haben uns einmal zu oft mit zu wenig zufrieden gegeben und wohin uns dieser Weg führt, lernt die Partei bei jeder Wahl.
Was in Deutschland in den letzten Wochen passiert ist ein bloßer Mythos der Menschlichkeit, während die Wahrheit ein Armutszeugnis aller Regierenden ist, egal ob Bund oder Länder. Menschen in Verantwortung, die solche Kommentare bringen, sollten sich schämen, da sie scheinbar empathielose Mandatsträger*innen sind, die unsere Säulen der Gemeinschaft nicht verstehen.
Ich habe jetzt einfach die Schnauze voll von Versprechungen und kleinen Schritten, denn unsere Erde brennt und die Menschen im Mittelmeer verrecken, weil sich die Unwürdenträger mit Champagner darüber austauschen, ob 150 Kinder nicht den Nobelpreis verdienen, wie die EU ihn schon einmal bekommen hat.
Immer sprechen die Politiker*innen davon, dass Corona ein Brennglas ist, doch anscheinend haben wir nichts über Humanität gelernt, denn sonst würden wir aus dem Mythos der Menschlichkeit Realität machen.
Wir haben Platz und Ressourcen, setzen wir sie endlich ein.
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